Begegnungen mit lebenden Legenden haben Potenzial, für positive wie negative Überraschungen. Christina Bell und Richard Solder waren gespannt auf Gioconda Belli, die sie für das Südwind-Magazin getroffen haben.
Die Belli. Wäre Gioconda Belli eine Theater-Schauspielerin, hätte sie schon lange die Ehrung einer „Grande Dame“ umgehängt bekommen. Als sie Ende Oktober im Wiener C3, dem Centrum für Internationale Entwicklung auftrat, waren Sitzplätze ein umkämpftes Gut.
Zwei Stunden zuvor gab sie dem Südwind-Magazin ein Interview. Als die Schriftstellerin und Ikone des nicaraguanischen Widerstands mit stolzen Schritten, wallender Mähne und Entourage erschien, war klar: hier kommt eine Persönlichkeit. „Die Belli“ eben. Das sind Momente der Skepsis für JournalistInnen: Handelt es sich um eine Diva, die sich die nächsten 30 Minuten demonstrativ vor uns langweilen wird? Die belehrt, weil das Redaktions-Duo 1979, im Jahr der nicaraguanischen Revolution, noch nicht auf der Welt war?
„¿Chocolate?“ fragt Belli gleich nach der Begrüßung auf Spanisch, bietet Süßigkeiten an und lächelt interessiert. Diesen Gesichtsausdruck wird sie die nächste halbe Stunde nicht mehr verlieren. Und sie wird Sätze sagen, die bei anderen kitschig klingen würden, bei ihr aber authentisch und gut: „Wieso können wir nicht träumen? Wieso können wir nicht versuchen, das Unmögliche zu erreichen? Das Streben nach dem Unmöglichen hat die meisten revolutionären Veränderungen in die Welt gebracht. Die sandinistische Revolution schien unmöglich.“ Aber sie gelang. Nach einem blutigen Konflikt Ende der 1970er konnte die Diktatur des Somoza-Clans beendet werden. Die nicaraguanische Revolution hatte gesiegt. Bis 1990 regierten die Sandinisten unter Daniel Ortega, dann folgten „16 Jahre Neoliberalismus“, wie Belli die folgenden Regierungen zusammenfasst.
Seit 2007 ist Ortega wieder Präsident, doch viele MitstreiterInnen haben sich von ihm abgewandt. Befragt nach ihrer persönlichen Enttäuschung, meint sie sachlich: „Der Fehler ist, zu glauben, den Lauf der Geschichte mit einem Ruck ändern zu können. Aber Veränderungen brauchen viel Zeit. Mit der Revolution haben wir unsere Ziele erreicht, Somoza gestürzt, die Menschen ermächtigt.“ Alles konnten sie nicht ändern. Auch der jetzt vorherrschende Populismus Ortegas gehöre zur Demokratie. „Auch diese Phase wird vorbei gehen, niemand existiert ewig.“
Die Nicaraguanerin Gioconda Belli, geb. am 9.12.1948, ist eine der berühmtesten lateinamerikanischen Autorinnen und Lyrikerinnen. Bekannt wurde sie auch als Revolutionärin: Anfang der 1970er Jahre schloss sie sich der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) an, die gegen die Diktatur der Somoza-Familie kämpfte.
Es folgten Verhaftungen und schließlich die Flucht nach Costa Rica. Nach dem Sturz Somozas 1979 hatte sie verschiedene politische und kulturelle Ämter inne. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern pendelte sie jahrelang zwischen Los Angeles und Managua, seit Juni dieses Jahres lebt sie wieder ausschließlich in Nicaragua.
Zu ihren berühmtesten Werken zählen „Tochter des Vulkans“ (Hammer Verlag, 1997), „Bewohnte Frau (Hammer Verlag, 2001)“, „Die Verteidigung des Glücks“ (dtv, 2002) sowie „Die Republik der Frauen“ (Droemer, 2012).
Wie sieht sie sich, als Autorin mit Aktivistinnenvergangenheit oder verkörpert sie nach wie vor beides? „Eine Kombination, denke ich“, sagt Gioconda Belli. „Um gut zu schreiben, muss man leben, ich glaube nicht an den Schriftsteller im Elfenbeinbeinturm. Ich glaube, die Stärke von dem, was ich schreibe, der Grund warum es bei so vielen Menschen ein Echo erzeugt, ist die Verbindung zu einer Realität, die wir alle in der einen oder anderen Form erleben.“
Dass ihr Werk die Menschen berührt, spürt man auch im C3, wo die ZuhörerInnen gebannt an Bellis Lippen hängen, Studierende Anfang 20 genau so wie deren potenzielle Eltern oder Großeltern. Was würde sie jungen Frauen heute sagen? „Dass sie mein Buch lesen sollen“, Gioconda lacht. „Die Republik der Frauen beschreibt meine Vision einer anderen Gesellschaft. Es gibt viel zu tun für uns Frauen, vor allem aber müssen wir auch den Diskurs verändern und die Natur der Macht.“ Obwohl sie das revolutionäre Potenzial sozialer Medien wertschätzt, sieht sie als negative Entwicklung, dass junge Leute so viel Zeit auf Facebook verbringen statt zu lesen: „Du gibst deinem Gehirn keine neue Nahrung, wenn du dir nur anschaust, womit andere Leute ihren Tag verbringen.“
Zu ihren größten Sorgen zählt die Umwelt: „Auch wenn es uns gelingt, das perfekte soziale System zu schaffen, wenn wir bis dahin den Planeten zerstört haben, finden wir uns in dieser Utopie ohne Erde wieder.“
Die Frage, was das Mutigste ist, das sie jemals gemacht habe, lässt Belli kurz innehalten und nachdenken. „Wahrscheinlich mein Engagement in der Revolutionsbewegung“, sagt sie dann. „Aber ich habe viele mutige Dinge gemacht“, fügt sie schon wieder mit mehr Überzeugung hinzu. „Im Herzen sind wir alle mutig, vielen fehlt es nur an der Gelegenheit.“ Es erfordere bereits Heldenmut, zu leben, sein eigenes Potenzial auszuschöpfen.
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